Was bedeutet Resilienz?
Resilienz ist abgeleitet von dem lateinischen Wort resilire, was „abprallen“, „zurückspringen“ bedeutet. Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Physik und bezeichnet die Fähigkeit eines Werkstoffes, sich verformen zu lassen und danach wieder die ursprüngliche Form anzunehmen. Resilienz steht daher – vereinfacht ausgedrückt – für die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen. Übertragen auf den Menschen geht es bei der Resilienz darum, Krisen, Stress, Verluste, Trennungen, Rückschläge zu meistern, ohne sich davon unterkriegen und verbiegen zu lassen. Resilienz bedeutet auch die Kraft, aufzustehen und weiter zu machen, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen statt an ihnen zu verzweifeln oder gar zu zerbrechen. Bei der resilienz geht es darum, sein Leben und seine derzeitige Situation aktiv in die Hand zu nehmen statt passiv und hilflos aus einem tiefen Loch zu schauen und auf Besserung zu warten.
„Resilient ist, wer die seelisch-emotionale Widerstandskraft aufbringt, sich von Stress, Krisen und Schicksalsschlägen nicht charakterlich verbiegen zu lassen. Wer das Beste aus dem Unglück und der Leiderfahrung macht, wer daraus lernt und im besten Fall sogar gestärkt daraus hervorgeht“, weiß Simone Neumann, Gesundheitstrainerin und Master für Kommunikationstechniken & Veränderungsmodelle. Die Burnout-Coachin und Heilpraktikerin für Psychotherapie verrät: „Etwa ein Drittel der Menschen sind von Natur aus resilienter als andere. Doch Resilienz kann jeder lernen. Resilienz ist sogar ein lebenslanger Lernprozess.“
Vergleichbar mit deinem Immunsystem, welches deinen Körper vor Krankheiten schützt, ist die Resilienz das Immunsystem deiner Seele. Es unterstützt dich beim Umgang mit Stress, Belastungen, Schicksalsschlägen und neuen Lebenssituationen. Und mehr noch: „Resilienz kann uns vor stressbedingten Erkrankungen wie Rückenschmerzen, Burnout und Magen-Darm-Erkrankungen schützen“, sagt Simone Neumann. Im Interview verrät die Inhaberin der Praxis für Coaching und Betriebliche Gesundheitsförderung aus Rehburg-Loccum, welche Bausteine dafür wichtig sind: Wer resilient ist, geht glücklicher durchs Leben.
Warum ist Resilienz so wichtig?
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, müssen ständig erreichbar sein, belastbar, flexibel und überall präsent. Permanenter Wandel bestimmt unser Leben mehr denn je. In dieser schnelllebigen Zeit ist es umso wichtiger, dass du innere Ruhe bewahrst und dich nicht vom Strudel an neuen Herausforderungen und Veränderungen in die Tiefe reißen lässt. Eine hohe Resilienz kann dir helfen, in jeder Krise auch eine Chance zu sehen. Das jedoch erfordert den Mut, die neue Situation anzugehen. Resilienz ist kein fester Zustand, den du einmal hast und dann als „Schutzhülle“ für immer mit dir herumträgst. Resilienz bedeutet, sich immer wieder neu auszurichten. Dabei kann deine Resilienz in verschiedenen Phasen deines Lebens durchaus unterschiedlich stark ausgeprägt sein und von Situation zu Situation auch anders ausfallen.
Weil der produktive Umgang mit kleinen und großen Krisen mehr denn je zu unserem Alltag dazugehört, weil wir ständig gefordert werden, auch die Arbeitswelt aktiv mitzugestalten, ist Widerstandskraft im Umgang mit Belastungen umso wichtiger.
Was kann die Widerstandskraft in Krisen erhöhen?
Ob du eine Belastungssituation als eine Krise einstufst oder nicht, hängt davon ab, wie du die Situation beurteilst, welche Erwartungshaltungen du an das Leben, an die Arbeit und an die Gesellschaft hast und inwieweit du dazu bereit bist, dich neuen Herausforderungen zu stellen. Helfen dabei können bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften, die genetisch in dir verankert sind sowie über deine Erziehung und Erfahrungen ausgebildet werden. Neben den Charaktereigenschaften spielen auch Haltungen und Einstellungen, die du im Laufe deines Lebens entwickelst, eine Rolle für deine Resilienz. Resiliente Menschen können beispielsweise eher akzeptieren, dass Krisen, Krankheiten und belastende Ereignisse zum Leben dazugehören. Sie sind weniger auf ihre Fehler festgelegt, sondern können ebenso gut erkennen, was ihnen gut gelingt und worin sie erfolgreich sind.
Resilienz spiegelt sich jedoch nicht nur in deinen Einstellungen und Haltungen wider. Du findest die Fähigkeit zu Beweglichkeit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auch in deinem Körper wieder. Erkenntnisse aus der Hirnforschung zeigen zum Beispiel, dass der Mensch sich bis ins hohe Alter noch an neue Gegebenheiten anpassen und verändern kann. Auch dein Körper ist mit Skelett, Muskeln und Bindegewebe ein Meister der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Das wird als Geweberesilienz bezeichnet. Deine körperliche Haltung kann in diesem Zusammenhang die Qualität deiner Gedanken beeinflusst und umgekehrt.
Leidest du aufgrund langjähriger Schreibtischarbeit an chronischen Verspannungen und hast du eine gebeugte Haltung, hat dies langfristig nicht nur einen Einfluss auf deine körperliche Beweglichkeit, sondern auch auf die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität deines Denkens. Du bist durch Routinen, alte Denkmuster und Verhaltensweisen in deiner Freiheit eingeschränkt, bist weniger flexibel und anpassungsfähig. Um deine Resilienz zu stärken ist es daher wichtig, nicht nur die geistige, sondern auch die körperliche Flexibilität und Beweglichkeit zu fördern.
Wie stärkst du Körper und Geist?
Oft sind es schon ganz kleine Dinge, die eine große Wirkung auf deinen Körper und deinen Geist haben können:
- Erholsame Pausen machen: Ein Spaziergang an der frischen Luft in der Mittagspause. Kurz vom Schreibtisch aufstehen oder von der Arbeitsfläche weggehen und das Fenster öffnen. Tief durchatmen, deine Haut, deine Augen und dein Gehirn werden dir für die kleine Portion Sauerstoff danken.
- Sich entspannen: Ob Atemübungen, Yoga, Meditation, ein Buch lesen, Sport, Putzen, Kochen, Gartenarbeit, Reisen planen, Fotos anschauen, mit Kindern und Haustieren spielen – für die einen sind Ruhe und Entspannungsübungen wohltuend, für die anderen Bewegung. Alles, was dir gut tut, kannst und solltest du als Ausgleich für Stress-Situationen nutzen. Eine persönliche Kraftquelle kann auch ein Bild sein. Hänge dir ein Foto oder einen Kalender mit Motiven auf, die positive Gefühle in dir auslösen. Wenn es stressig wird, schau auf das Bild, entspann dich und tanke Kraft.
- Ausreichend trinken: Damit Körper und Geist fit bleiben, ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von mindestens 1,5 Litern täglich nötig. Sprich mit deinem Hausarzt über deine individuelle Trinkmenge.
- Gesunde Ernährung: Viel frisches Obst, Gemüse und Vollkornprodukte, weniger Fast-Food und fetthaltige Speisen sowie weniger zuckerhaltige Speisen und Getränke helfen deinem Körper und Geist dabei, fit und beweglich zu bleiben. Lies mehr zu Nahrungsfetten, Cholesterin und Fettstoffwechsel.
- Schlafen: Um fit in den nächsten Tag zu starten, achte auf ausreichend Schlaf und ein gesundes Nachtlager. Hilfe bei Schlafstörungen.
Was sind die 7 Säulen der Resilienz?
Jeder Mensch ist anders, daher müssen auch die Resilienzfaktoren individuell auf den einzelnen zugeschnitten werden. Trotzdem gibt es eine Art Grundmodell von 7 Resilienzbausteinen. In ein für dich passendes Gleichgewicht gebracht, können sie dir helfen, stressfreier zu leben:
Akzeptanz ist der erste Resilienzbaustein
Akzeptiere Situationen, die nicht zu ändern sind und grübele nicht übermäßig über die Vergangenheit und über das, was passiert ist nach. Lass los, sei bereit für Veränderungen.
Optimismus ist die zweite Säule der Resilienz
Optimismus bedeutet nicht, sich alles schön zu reden, was für dich selbst nicht schön ist. Optimismus bedeutet, positiv in die Zukunft zu blicken, nach vorne zu schauen und darauf zu vertrauen, dass sich die Dinge gut entwickeln und Krisen meist nur vorübergehend sind. Vertraue auf die Kraft in dir, dein eigenes Leben und den Umgang mit belastenden Situationen in die Hand nehmen zu können. Auch wenn das Glas halbleer statt halbvoll ist, hast du es in der Hand, Wasser nachzufüllen. Oft hilft schon die Wortwahl dabei, wie du einer für dich belastenden Situation begegnen kannst. Probiere es einmal aus: mache aus „ich muss“ einfach einmal „ich möchte“. „Ich möchte diesen Berg an Arbeit erledigen, damit ich später Zeit zur Entspannung habe“, klingt doch viel besser als „ich muss das alles heute noch erledigen, sonst rennt mir die Zeit davon und der Chef, der Kunde, die Kollegen, die Familie werden sauer.“
Verantwortung als dritter Resilienzbaustein
Verlasse deine Opferrolle. Das bedeutet nicht, dass du den Schmerz bei einem Schicksalsschlag oder die Hilflosigkeit bei einer schier unüberwindlich erscheinenden Situation nicht zulassen darfst und kein Mitgefühl von anderen erhalten darfst. Bloß sollte die innere Opferrolle nicht dein Leben bestimmen, denn sie nimmt dir die nötige Handlungsbereitschaft und das Vertrauen in deine Fähigkeiten. Denk immer daran: „Kein Mensch kann dafür sorgen, dass du dich schlecht fühlst, sofern du es ihm nicht erlaubst“, weiß Simone Neumann. Sie rät: „Jeder entscheidet selbst, ob ihm zum Beispiel ein Kollege so wichtig ist, dass Zeit und Energie verbraucht werden und im schlimmsten Fall sogar die eigene Gesundheit gefährdet wird, bloß um sich über diesen Menschen zu ärgern.“ Simone Neumann empfiehlt, eine Liste der Dinge oder Situationen zu machen, die dich regelmäßig ärgern. Schreib auf, worüber du dich ärgerst, wer dich ärgert, wodurch du dich schlecht fühlst bzw. worunter du leidest.
Danach überlegst du, was du tun könntest, um etwas daran zu ändern. Sag jetzt nicht vorschnell: „Hab ich doch alles schon versucht und es hat nichts gebracht.“ Überleg einmal ganz genaue Strategien, wie beispielsweise ein klärendes Gespräch zu führen, bestimmten Situationen aus dem Weg zu gehen oder aber – und das ist für viele eine Herausforderung – etwas an deiner Einstellung zu verändern, so dass du dich nicht immer wieder über dieselben Dinge oder Personen ärgern musst. Mach dir einen Plan für deine nächsten Schritte. „Andere Menschen werden sich nicht ändern. Also muss man in seinem Alltag selbst Wege finden, mit belastenden Situationen umzugehen. Menschen, die ihre eigenen Handlungen nie hinterfragen, geraten immer wieder in die gleichen Konflikte“, sagt Simone Neumann. Sie rät zu einem Perspektivenwechsel.
Dich ärgert schon seit Monaten ein Kollege, der scheinbar ohne jeglichen Arbeitseifer seine Zeit absitzt und bei neuen Aufgaben die „Das geht nicht“-Abwehrhaltung einnimmt? Denkst du daher ständig: „Wegen dem geht es hier nicht vorwärts?“ Schon wenn du den Kollegen siehst tauchen automatisch Wut, Verärgerung und Frust auf? Dann wird es Zeit, der gedanklichen Negativspirale ein Ende zu setzen. Den Schuldigen für eine für dich unerträgliche Situation zu suchen, bringt dich nicht weiter, sondern in die Opferrolle. Wechsele die Perspektive und versetz dich in den Kollegen hinein. Vielleicht ist er gar nicht ignorant und faul, sondern scheut Verantwortung und neue Situationen? Frag dich, wie du mit deiner neuen Sichtweise die für dich problematische Situation angehen kannst. Sprich mit dem Kollegen und sag, was dich an seinem Verhalten stört. Oft merkt das Gegenüber gar nicht, wie sehr es andere Menschen mit seinem Verhalten verletzt.
Selbstwirksamkeit ist die vierte Säule der Resilienz
Diese Säule der Resilienz beschreibt die persönliche Überzeugung, auch schwierigste Aufgaben, Herausforderungen oder Schicksalsschläge durch eigenes Handeln bewältigen zu können. Versuche einmal, spontan die zehn glücklichsten Momente in deinem Leben zu beschreiben. Zähle fünf Stärken von dir auf. Das fällt dir schwer, weil du darüber noch nie nachgedacht hast? Dann tue es jetzt und du wirst vieles finden, was in deinem Inneren schlummert und darauf wartet, hinausgelassen zu werden. Glaub an dich und deine Fähigkeiten.
Resilienz-Expertin Simone Neumann empfiehlt zur Stärkung der Selbstwerteinschätzung die folgende Übung: Wähle eine Eigenschaft oder eine Angewohnheit aus, die du an dir nicht magst. Danach deutest du diese schlechte Angewohnheit um, indem du einen anderen Blickwinkel einnimmst. Deute die schlechte Angewohnheit zu deinem Vorteil um. Wenn du dich beispielsweise darüber ärgerst, dass du nie Nein sagen kannst und daher ständig von Chef und Kollegen mit Arbeit überhäuft wirst, dann könnte die Umdeutung lauten: „Ich entscheide mich dafür, hervorragende Arbeit zu leisten, weil mir Qualität wichtig ist und weil sich der Projektabschluss ohne mich zeitlich nach hinten verschieben würde.“ Das Umdeuten von als negativ empfundenen Angewohnheiten ins Positive kann deine Selbstwertschätzung stärken.
Netzwerkorientierung als fünfter Resilienzbaustein
„In belastenden Situationen hilft ein soziales Netz aus Familienangehörigen, Freunden, Nachbarn, Kollegen oder Menschen, auf deren Hilfe und Unterstützung man sich im Notfall verlassen könnte“, weiß Simone Neumann. „Die Hilfe muss noch nicht einmal in Anspruch genommen werden, damit sie die psychischen Belastungen mildert. Allein die Aussicht, dass das soziale Netz Hilfe leisten kann, stärkt die psychische Widerstandsfähigkeit.“ Die eigene Resilienz kann jedoch nur durch Kraft spendende Beziehungen gestärkt werden. „Energiefresser“, also Personen die dir beispielsweise durch ständigen Vertrauensmissbrauch, Drohungen, emotionale Überreaktionen oder Ausnutzung deine Kraft rauben, solltest du einmal aufschreiben. Überlege, was du an der jeweils belastenden Situation mit dem „Energieräuber“ verändern möchtest. Hilft ein klärendes Gespräch oder ist es vielleicht für beide Seiten besser, den Kontakt ganz aufzugeben?
Lösungsorientierung als sechster Resilienzbaustein
Nachdem du dir deiner Situation bewusst geworden bist, die Situation angenommen hast und den Schmerz aus eigener Kraft sowie mit der Hilfe anderer hinter dir gelassen hast, geht es nun darum, nach vorne zu schauen. Es geht darum, klare Ziele zu formulieren und konkrete Wege zur Umsetzung zu finden. Kurz: Es geht darum, in jeder Herausforderung auch eine Chance zu sehen.
Zukunftsorientierung als siebter Resilienzbaustein
Setze dir neue Ziele, verfolge diese und kreiere ein Bild einer guten Zukunft. Fang mit einem Ziel an, formuliere es in ein bis zwei Sätzen, beschreibe es in einer positiven Sprache, als ob du es schon erreicht hättest. Und ganz wichtig: Formuliere das Ziel so, dass du es selbst erreichen kannst. „Wenn der Erfolg des Ziels davon abhängt, dass sich andere zuerst verändern müssen, dann gibt man die Verantwortung für das eigene Ziel ab“, bringt es Simone Neumann auf den Punkt. Daher beantworte dir die Fragen: Wie kannst du dein Ziel mit eigenen Kräften erreichen? Was kannst du beeinflussen? Und was möchtest – nicht musst!- du dafür tun? Schalte deine Sinne ein, sehe, höre, spüre, rieche oder schmecke dein Ziel. Welches Bild siehst du vor deinem inneren Auge und wie fühlst du dich, wenn du dein Ziel erreicht hast?
Welche Inneren Antreiber hast du?
Hast du dich schon einmal gefragt, warum du dich in Beruf und Privatleben so verhältst, wie du es tust? Fragst du dich, warum du:
- selten Nein sagen kannst?
- du mehr und härter arbeitest als alle anderen?
- es dir schwer fällt, andere um Hilfe zu bitten?
- Aufgaben nicht halbfertig liegen lassen kannst?
- so ungeduldig bist und immer alles superschnell bei dir gehen muss?
„Höchstwahrscheinlich sind bestimmte Glaubenssätze schuld daran, dass wir uns so verhalten, wie wir es tun. Es sind Glaubenssätze, die wir schon in der Kindheit gelernt haben. Meistens sind sie Ausdruck davon, was unsere Eltern oder unsere Bezugspersonen von uns erwartet haben“, erklärt Simone Neumann. Diese Inneren Antreiber sind, ohne dass es dir bewusst ist, Teil deiner Persönlichkeit und deines Verhaltens geworden.
Hast du beispielsweise als Kind ständig „beeil dich“ gehört, dann hast du diesen Antrieb wahrscheinlich so verinnerlicht, dass er auch in deinem weiteren Leben unbewusst dein Verhalten bestimmt. Du lebst nach dem Motto: „Zeit darf nie verschwendet werden“, „Zeit ist Geld“. Dein Terminkalender ist randvoll, Ausruh- und Entspannungsphasen fehlen, denn das ist für dich Zeitverschwendung. Du unterbrichst andere ständig, wenn sie sprechen und schaust auf die Uhr oder aufs Handy, um einzuwerfen, dass du für dein Gegenüber eigentlich keine Zeit hast und der nächste Termin wartet. Dich ärgern Menschen, die dir deine kostbare Zeit durch ihr wie auch immer geartetes Verhalten nehmen. Für deine Mitmenschen erscheinen deine eigentlich positive Schnelligkeit, deine Entscheidungsfreude und deine Fähigkeit zum effizienten Handeln als Rastlosigkeit, als Zappeligkeit, als übertriebene Forderung zur Eile. Sie werfen dir vor, du hörst nie richtig zu und fällst einfach ohne Rücksprache irgendwelche Entscheidungen, weil das schneller geht.
Innere Antreiber und innere Überzeugungen
Wie aber passiert es, dass positive Eigenschaften des „beeil dich“ wie Schnelligkeit und Entscheidungsfreude plötzlich zu belastenden Faktoren für dich und deine Mitmenschen werden? Um diese Frage zu beantworten, werfen wir einen Blick auf die fünf Glaubenssätze und inneren Antreiber, die in mehr oder weniger starken Anteilen in jedem von uns stecken und ein wichtiger Faktor für unseren Umgang mit Druck, Krisen und Stress sind:
Innere Antreiber/ Glaubenssätze |
Positive Eigenschaften | Innere Überzeugung |
1. Sei stark! | Stärke und Unabhängigkeit
Kraft und Vorsicht |
Schwächen und Gefühle darf ich nicht zeigen! Ich muss meine Gefühle jederzeit unter Kontrolle haben. Andere um Hilfe zu bitten, macht mich abhängig von ihnen, das darf nicht sein. Ich muss die Zähne zusammenbeißen und muss alles alleine schaffen! |
2. Sei perfekt! | Genauigkeit und Fehlerlosigkeit
Sorgfalt |
Fehler zu machen ist eine Katastrophe! Gut ist nicht gut genug! Ich darf Aufgaben nicht halbfertig liegen lassen! |
3. Mach es allen recht! | Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit
Fürsorglichkeit |
Alle müssen mich mögen! Ich kann einfach nicht Nein sagen! Alle anderen sind wichtiger als ich selbst und müssen sich wohlfühlen, egal was das von mir abverlangt! |
4. Beeil dich! | Schnelligkeit und Fähigkeit, sich bietende Chancen umgehend zu nutzen
Entscheidungsfreude und effizientes Handeln |
Zeit darf nie verschwendet werden! Alles muss superschnell erledigt sein! |
5. Streng dich an! | Gründlichkeit und Durchhaltevermögen | Ich darf mich nicht gehen lassen! Ich darf mich über Erfolge nicht freuen, sondern muss noch härter arbeiten, um die gesteckten Ziele zu erreichen! |
All die in der Kindheit verinnerlichten Glaubenssätze und inneren Antreiber sind auch mit positiven Eigenschaften verbunden (siehe Tabelle). Sie können aber als daraus abgeleitete, übertriebene innere Überzeugungen einengen und für dich und deine Mitmenschen belastend wirken. Denn viele der inneren Überzeugungen sind in ihrem Absolutheitsanspruch im Alltag und im persönlichen Umgang miteinander von dir und anderen einfach nicht zu erfüllen.
Setze dich einmal selbstkritisch und ehrlich mit deinen Inneren Antreibern und ihrer Wirkung auf dein Umfeld auseinander. Welche Verhaltensweisen sind in welchem Maß in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll und welche lösen Stress bei dir und bei anderen aus?
Sei stark und lass Gefühle zu
Dein Innere Antreiber „Sei stark!“ zwingt dich, die Zähne zusammen zu beißen und deine Gefühle unter Kontrolle zu halten, um dir selbst keine Blöße zu geben. Hilfsbedürftigkeit bedeutet Abhängigkeit für dich. Du willst alles alleine schaffen. Beobachte dich in deinem Alltag und registriere einmal ganz bewusst, wie oft du Gefühlsregungen beiseiteschiebst oder gewaltsam unterdrückst. Versuche wenigstens ab und zu etwas von diesen Gefühlen nach außen dringen zu lassen. Simone Neumann rät: „Öfter mal lächeln ohne konkreten Anlass, laut unter der Dusche singen und mehrmals am Tag in seinem Tun kurz inne halten und von oben bis unten in seinen Körper hineinspüren: Welche Muskelgruppen sind angespannt? In welchen Situationen ist die eigene Haltung locker, in welchen starr?“ Bitte einmal pro Woche jemanden um Hilfe bei einer Tätigkeit, die du eigentlich auch alleine erledigen könntest. Freut sich der Angesprochene über deine Ansprache und Wertschätzung? Wie fühlt es sich für dich an, die vermeintliche Schwäche und Hilfsbedürftigkeit in etwas Positives wie ein „Miteinander statt nur allein“ zu verwandeln?
Sei perfekt und versuche es mit 80 Prozent
Der Innere Antreiber zur Fehlerlosigkeit und zum Perfektionismus erlaubt dir nicht, Dinge nur gut oder ausreichend zu erledigen. Es müssen immer 100 Prozent sein, das erwartest du auch von anderen. Indem du deine eigene Messlatte auf andere Menschen überträgst, sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Simone Neumann rät, im Alltag einmal verstärkt darauf zu achten, ob du dazu neigst, dich zu rechtfertigen oder mögliche Kritik an dem, was du tust, schon mal vorsorglich vorwegzunehmen und darauf zu antworten, bevor jemand überhaupt den Mund aufgemacht hat. Beobachte dich selbst, wie oft du andere kritisierst – mit Worten oder auch mit Gesichtsausdruck oder Körperhaltung. Versuche einmal, beide Impulse zu unterdrücken. Wie verändert das deine sozialen Beziehungen? Mache einmal pro Woche absichtlich etwas nicht so gut, wie du es eigentlich machen könntest. Gib 80 statt 100 Prozent und brich eine Aufgabe kurz vor der Fertigstellung ab. Halte das Gefühl der Unzulänglichkeit bewusst aus und lächele öfter mal ohne konkreten Anlass. Schon nach einiger Zeit wirst du merken, dass die Welt nicht untergeht, wenn etwas nicht zu 100 Prozent perfekt ist.
Mach es allen recht und sag auch mal Nein
Dein Innerer Antreiber redet dir ein, dass es in deiner Verantwortung liegt, dass sich alle anderen wohlfühlen. Beobachte dich in deinem Alltag einmal selbst, während du mit anderen sprichst: Wie häufig nickst du, lächelst zustimmend oder machst bestätigende Gesten? Wie oft verwendest du Fragesätze statt direkt zu sagen, was du möchtest? Sagst du beispielsweise: „Sollen wir heute in der Mittagspause nicht mal spazierengehen?“ Statt: „Lass uns heute in der Mittagspause doch mal spazierengehen.“ Schwächst du das, was du eigentlich sagen willst durch Floskeln ab? Beispielsweise: „Ich habe ja keine Ahnung von der Sache, aber könnte es nicht sein, dass…“ oder „Möglicherweise irre ich mich ja, aber ich denke…“. Kommuniziere klarer und versuche öfter einmal direkt zu sagen, was du meinst oder möchtest. Lehne einmal pro Woche eine Bitte von jemandem ab, obwohl du sie auch erfüllen könntest, wenn du wolltest. Halte dreimal am Tag kurz inne und frag dich: wenn es jetzt nur nach mir gehen würde – würde ich mit dem weitermachen, was ich gerade tue?
Beeil dich und baue Ruhezeiten in deinen Tag ein
Der Beeil dich!-Antreiber verbietet dir das Langsamsein. Er verbietet dir damit auch das Verweilen in der Gegenwart und hindert dich daran, wirklich in Dinge einzutauchen und möglicherweise auch anderen Menschen nahe zu kommen. Beobachte dich im Alltag: sprichst du schnell und ohne Punkt und Komma? Reißt du in einer Gruppe Gespräche an dich und unterbrichst andere ständig, wenn sie sprechen? Wie oft verwendest du Ausdrücke, die zur Eile mahnen, zum Beispiel „so schnell wie möglich“, „mal eben schnell“, „gleich noch“? Versuche einmal, deinem Gegenüber das Gefühl zu geben, du hättest Zeit für ihn, hörst ihm aktiv zu und verstehst auch, was er gesagt hat. Wie fühlt sich das an? Hüpfst du von einer Tätigkeit zur nächsten und kommst nie zum Stillstand, dann probiere einmal aus, was sich verändert, wenn du bewusst Phasen des Nichtstuns in deinen Tagesablauf einbaust.
Streng dich an und bitte andere um Hilfe
Dieser Innere Antreiber feuert dich an, bei all deinen Bemühungen niemals nachzulassen oder vorzeitig aufzugeben. Er ist die Wurzel eines außergewöhnlichen Durchhaltevermögens. Doch er redet dir auch ein, dass nur das, was mit viel Mühe erreicht wurde, wertvoll ist und Anerkennung verdient. Verwendest du im Gespräch oft Ausdrücke wie „wenn ich mir Mühe gebe“, „ich könnte es ja mal versuchen“, „das wird schwierig, aber..“? Frag dich einmal, was du damit bei deinem Gegenüber erreichen willst und ob du diese Ausdrücke nicht auch weglassen kannst. Überprüfe deine hochgesteckten Ziele: sind diese realistisch, umsetzbar und erreichbar? Was fordert das von dir? Simone Neumann rät, mindestens dreimal am Tag inne zu halten und sich auf die Hals-, Nacken- und Schultermuskulatur zu konzentrieren. Ist sie verspannt und hart? Zeit, etwas dagegen zu tun. Gönn dir eine Massage, mach Entspannungsübungen, geh zum Sport und sorge für einen Ausgleich, für Lockerung und Leichtigkeit. Bitte zweimal pro Woche eine Person deiner Wahl um Hilfe bei einer Aufgabe, die du eigentlich auch alleine erledigen könntest. Kannst du die Früchte eurer Zusammenarbeit genießen?
Erkenne und nutze persönliche Kraftquellen
Was hat dir in vergangenen Krisensituationen, Stressmomenten und Herausforderungen Kraft gegeben? Mache dir bewusst, auf welche persönlichen Ressourcen du in Krisenzeiten zurückgreifen kannst. Nutze die 7 Säulen der Resilienz, erkenne deine Kraftquellen und das, was dir gut tut.
Sei achtsam darin, eigene Wünsche und Bedürfnisse deutlicher zu erkennen, um dein Leben immer bewusster aktiv zu steuern. Simone Neumann rät: „Frag dich zum Beispiel einmal, was du tatsächlich nur für dich selbst machst und ob du mehr für dich selbst machen möchtest. Wenn du mehr für dich selbst machen möchtest, was genau würdest du machen und was sind die ersten Schritte? Erstelle eine Art Aktionsplan, wie du vorgehen möchtest.“ Hilfreich dabei können Fragen sein wie:
- Welche äußeren Faktoren kannst und solltest du in deinem Umfeld ändern?
- Welche inneren Faktoren in deiner Persönlichkeit kannst oder solltest du ändern?
- Wie sehen dabei die jeweils ersten Schritte für dich aus?